Aus der Praxis
E-Auto oder Plug-in-Hybrid – eine alltagstaugliche Momentaufnahme
Text: H. Malguth, Fotos: Adobe Stock
Vielen politischen oder umweltstrategischen Argumentationen zum Trotz ist es weder für den Verbraucher, noch für die Kfz-Werkstatt eindeutig, welche Entscheidung pro oder contra E-Mobil die richtige ist. Je nach vertretener Ideologie entbrennen dazu unterschiedliche Meinungen. So lässt sich die historische Äußerung von Trainerlegende Otto Rehagel »Die Wahrheit liegt auf dem Platz« an dieser Stelle zu einer neuen Kernaussage umwandeln, die da lautet:
»Die Wahrheit liegt im praktischen Alltagsnutzen«. Unterschiedliche Bedingungen machen eine pauschale Entscheidungsfindung nahezu unmöglich – beim Käufer eines Neuwagens genauso wie bei der Fachwerkstatt Ihres Vertrauens.
Dass der Stein der Weisen bei allen Diskussionen und technischen Innovationen bislang noch nicht ins Rollen gekommen ist, verdeutlichen Woche für Woche aktuelle Publikationen der Medien. Wenn schon in wenigen Jahren der Individualverkehr auf europäischer Ebene möglichst ohne Schadstoffausstoß funktionieren soll, ist insbesondere ein flächendeckendes Netz von Ladestationen für ganz Europa erforderlich.
So dokumentiert eine Auswertung des Verbandes der Automobilindustrie Anfang 2021 ein erhebliches Defizit im Verhältnis von Ladepunkten und der Anzahl zugelassener Fahrzeuge:
Selbst in den 27 EU-Ländern zuzüglich Großbritannien, Norwegen, Island und der Schweiz würden statisch betrachtet 887 Pkw um einen Ladepunkt rangeln, wenn alle Autos E-Mobile wären. In den Niederlanden kämen dann lediglich 109 Autos auf eine Ladesäule, während die Bundesrepublik mit 1.014 Autos sogar noch unter dem europaweiten Durchschnittswert rangieren würde. Zwar kann Deutschland insgesamt immerhin 47.000 Ladepunkte aufweisen (2.Platz hinter den Niederlanden mit 82.000), aber dafür ist der Pkw-Bestand mit 47,7 Mio. Fahrzeugen auch deutlich höher. Möchte man die Klimabilanz auf ganz Europa ausweiten, müssen auch die statischen Schlusslichter Litauen, Rumänien und Griechenland in die Entwicklung einbezogen werden. Hier müssten sich nicht weniger als 8.613, 10.539 und unglaubliche 17.218 Fahrzeuge eine Ladestation teilen, wenn alle Autos elektrisch betrieben würden!
Seitens der EU wird die Zielvorgabe von 10 Fahrzeugen pro Ladesäule definiert. Das Problem verschärft sich insofern sogar noch weiterhin, weil mehr Elektrofahrzeuge zugelassen als Ladesäulen installiert werden. So kritisiert der Verband der Automobilindustrie die politisch Verantwortlichen für »das Fehlen einer flächendeckenden Infrastruktur von Ladepunkten in Europa«.
Und die Verbraucher? Reagieren mit Verunsicherung, wenn es um die Neuanschaffung eines fahrbaren Untersatzes geht. Daraus resultiert die überproportional wachsende Zunahme an Neuzulassungen für Plug-in-Hybride.
Beabsichtigt man, innerhalb Deutschlands oder Europas eine längere Strecke im E-Mobil zurückzulegen, dann bedarf es einer strategischen Vorbereitung. Damit ist jetzt nicht gemeint, die alleinigen Merkmale unterschiedlicher Steckertypen an den jeweiligen Ladesäulen zu kennen. Vielmehr gilt es, den schier undurchdringlichen Dschungel unterschiedlicher Bezahlsysteme an öffentlich zugänglichen Ladepunkten zu durchdringen. Auch wenn man akribisch allen technischen Vorgaben Folge leistet, kommt man oft nicht umhin, die Hotline des Betreibers anzurufen, dessen vertragspflichtige App herunterzuladen oder alternativ einen QR-Code einzuscannen, Kreditkartennummern ins Handy einzutippen, um den Ladevorgang zu starten. Manchmal verarbeitet das System nur bestimmte Kreditkarten, in an-deren Fällen ist die App nicht kompatibel. Nicht selten muss hier die jeweilige Hotline des Betreibers mehrfach am Tag angerufen werden.
»Der Ladevorgang kann nicht gestartet werden«, so treibt einen der lapidare Kommentar auf dem Display der Säule zur Verzweiflung. Solange man sich nicht in einer langen Schlange von wartenden Tankwilligen befindet, mag das alles noch hinnehmbar sein.
Oder der Stecker lässt sich nach dem Ladevorgang nicht mehr vom Fahrzeug trennen. Da hilft dann auch die Stimme am anderen Ende der Hotline oft nicht weiter. Ein Allheilmittel scheint in diesen Fällen tatsächlich das mehrfache Herunter- und Wiederhochfahren der betreffenden Ladestation zu sein. Das spricht nicht unbedingt für eine massentaugliche Technologie.
Es kommt durchaus vor, dass die Navi die nächstgelegenen Ladepunkte auf der Strecke zwar korrekt anzeigt. Manchmal befinden sich diese Stationen aber auf einem umzäunten, nach Feierabend und an Wochenenden nicht zugänglichen Firmengelände.
Oder der E-Mobil-Fahrer erhält die desillusionierende Mitteilung von der Computerstimme aus der Säule »Der Ladevorgang dauert 7 Stunden«. Derartige Zwischenfälle sind so gut wie gar nicht planbar und erschweren konkrete Terminplanungen – auch in Hinblick auf berufliche Verabredungen.
Hat man nach dem Überwinden aller Widrigkeiten sein Ziel endlich erreicht, erweist sich zu guter Letzt im Hotel die hauseigene Ladestation als nicht betriebsbereit. Die nächste Ladestation befindet sich nach Angabe der Rezeption mit dem ausdrücklichen Bedauern in einer Entfernung von mehreren Kilometern. Das bedeutet weitere Unannehmlichkeiten in Form eines ungewollten Fußmarsches zurück zum Hotel.
Unsere niederländischen oder skandinavischen Nachbarn gelten als vorbildliche Vorreiter einer elektrischen Infrastruktur für E-Mobile. Hat man die Grenzen erstmal passiert, wird zwar vieles besser, aber auch hier kostet der Betrieb der Klimaanlage reichlich Akkukapazität und torpediert damit so manche Reichweitenprognose.
Fazit:
Nicht die Qualität der Fahrzeuge, sondern die zur Verfügung stehende Infrastruktur wird darüber entscheiden, wann und in welchem Umfang sich die E-Mobilität flächendeckend durchsetzen wird. Bis dahin jedoch bleibt das Reisen im E-Mobil vor allem eins: Hoch spannend.