Auto-tuning
Extravagant statt stinknormal
Text: Hartmut Malguth, Fotos: Brussels Auto Show, H. Malguth
Die seit 100 Jahren zum festen Bestandteil des internationalen Messekalenders zählende Brussel Motor Show war bereits Mitte 2023 abgesagt worden. So galt es, aus der Not eine Tugend zu machen und für alle interessierten Benzin-, Motoren- und Zylinder-Enthusiasten in den Benelux-Ländern eine adäquate Ersatzveranstaltung zu kreieren: Immerhin konnten innerhalb von fünf Tagen rund 122.000(!) Besucher den Lockrufen des neuen Events nicht widerstehen und begeisterten sich an einem unverbrauchten Messekonzept.
Mit dem Car Catwalk in Palace 5 (Foto unten) sowie den YouTubern POG und Shmee150, einer beeindruckenden Sammlung von Hypercars, Supercars, klassischen Juwelen und auch einigen neuen Modellen stand eher das Showelement im Fokus. In Halle 8 gab es abwechselnd eine Trial/BMX-Show und eine Lowrider-Arena. Für all diejenigen, die am liebsten selbst im Cockpit sitzen, gab es mehrere High-Tech-Simulatoren. Hier spielte das Thema Tuning natürlich eine übergeordnete Rolle. Das Messekonzept richtet sich nicht so sehr an den Autokäufer, sondern eher an den Autoenthusiasten und die sozialen Medien. Das begründet auch den hohen Stellenwert von Interaktivität und Showelementen, der bei den Messedarbietungen zum Tragen kam.
Eines der Kernthemen der Veranstaltung lautete daher »PERFORMANCE & TUNING«, wo Fahrzeuge wie der Toyota Supra Widebody bis zum VW Golf mit mehr als 700 PS im Fokus standen.
Dabei setzt die Messeleitung auch künftig auf den Mitmacheffekt: Interessierte Tuning-Ästheten können ihre Fahrzeuge zur geplanten Folgemesse im Januar 2025 anmelden und auf dem Car Catwalk präsentieren.
Wer die jüngste Studie der in Köln ansässigen BBE Automotive gelesen hat, dem wird deutlich, dass sich nicht nur das junge Publikum für Tuning begeistert. So haben deren Experten im Rahmen der Motorshow Essen Anfang Dezember 2023 hochinteressante Daten veröffentlicht. Laut einer repräsentativen Umfrage werden allein in der Nachrüstung immerhin 2 Mrd. Euro umgesetzt. Damit stellt das Fahrzeug-Tuning einen erheblichen Wirtschaftsfaktor in der Kfz-Branche dar.
Für die E-Mobilität hat das Tuning zwar noch nicht die Bedeutung wie bei den Modellgattungen mit konventioneller Antriebstechnik gewonnen. Es darf jedoch erwartet werden, dass sich dies in den kommenden Jahren erheblich ändern wird.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Szene von Modellen wie Audi, BMW, Mercedes und VW geprägt wird. Wenn hier von der Bauteilnachrüstung die Rede ist, dann betrifft dies in erster Linie die Segmente Räder und Reifen bzw. Fahrwerkskomponenten. Diese Sondermodelle erwirtschaften einen Marktanteil in Höhe von zusätzlichen 4 Mrd. Euro. Wenig überraschend erscheint in diesem Zusammenhang, dass die Szene letztlich auch durch ihre Online-Präsenz zusätzlich an Aufmerksamkeit gewonnen hat. Allerdings ist es dem überwiegenden Teil der Tuning-Begeisterten – nämlich ca. 95% – wichtig, sich von den Posern und Rasern abzugrenzen.
Worin liegt die Faszination fürs Tuning?
Es ist wohl in erster Linie der zum Ausdruck gebrachte Wunsch nach Individualität. Nicht zuletzt bedeutet »Tuning« ja auch soviel wie »Feinabstimmung«. Hierbei gilt es, individuelle Veränderungen an Serienfahrzeugen vorzunehmen, die zu Anpassungen von Fahreigenschaften, optischen bzw. akustischen Details führen.Hier bleibt nahezu keine Baugruppe unangetastet. Als Folge davon profitiert auch der Arbeitsmarkt von dieser Entwicklung: Aktuell verdienen etwa 10.000 Beschäftigte ihren Lebensunterhalt direkt oder indirekt mit dem Tuning. Diese Statistik teilt sich nahezu gleichwertig auf in 50% direkt bei den Fahrzeugherstellern und 50% im Aftersales-Markt.
Nimmt man jene rund 1.000 Kfz-Werkstätten dazu, deren fachliche Ausrichtung mit dem Thema sympathisiert und die ca. 150 Hersteller von Tuning-Aggregaten und -zubehör, dann lässt sich erahnen, welche Bedeutung der Markt als Wirtschaftskraft repräsentiert.