03/2023

Brüssel 100. Autosalon

Besuch der ersten Fahrzeugmesse 2023 nach der Pandemie (14. – 22. Januar)

Text und Fotos: H. Malguth

Sein deutsch klingender Name Andreas Cremer soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Geschäftsführer des belgischen Automobilverbands und Messeveranstalters Febiac aus dem Osten Belgiens stammt. »Wir sind zum 100. Mal am Start«, proklamiert er nicht ohne Stolz. »Auch die allererste Automesse hat 1902 hier in Brüssel stattgefunden – allerdings noch nicht unter dem heutigen Namen und zudem an anderer Stelle.«

Die Zeichen der Neuzeit haben Spuren hinterlassen: Ukrainekrieg, Inflation und Energiekrise sind alles andere als ideale Stimmungsmacher für eine Branche, die sich über die vergangenen Jahrzehnte als stetiger Selbstläufer inszeniert hat – mit viel Prunk, Pomp und prominenten Begleiterscheinungen.
Damit ist (nur vorerst oder ein für alle Mal?) augenscheinlich Schluss, wenn man sich auf dem 100. Autosalon so umschaut.

Dieses Jahr fällt die Veranstaltung eine Nummer kleiner aus. Veranstalter Febiac, der Dachverband der Automobilindustrie in Belgien, geht auch von weniger Besuchern aus. So sind deutlich weniger Marken präsent. Als Folge belegt der 100. Autosalon nur 6 statt wie bisher 10 Messehallen. Spitzfindige könnten darin auch einen Heilungsprozess der gesamten Branche herauslesen, denn: So viele Elektroautos wie 2023 sind bei dieser nach wie vor populären Veranstaltung noch nie präsentiert worden.

Augenfällig ist die deutliche Zunahme von Anbietern aus China. Während sich die Marke BYD mit einem eigenen Stand präsentiert, lassen sich andere wie zum Beispiel Seres, Baic und DFSK von dem belgischen Unternehmen One Automotive auf zwei Ständen repräsentieren.  Gezeigt werden E-Autos der gehobenen Klasse und SUV Made in China.

Welche Trends lassen sich aus den Erfahrungen der Autoproduzenten zu Beginn des Jahres 2023 ablesen? Die Zahl der Zulassungen für E-Autos ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen. Dennoch zeigt dieser Trend aktuell nicht mehr dieselbe Dynamik wie noch in der ersten Hälfte des Jahres 2022. Es sind vor allem Unternehmen, die ihre Fahrzeugflotten elektrifizieren. Privatleute entscheiden sich derzeit wohl eher für ein Hybridfahrzeug. Offenbar fehlt noch das Vertrauen in die Ladeinfrastruktur. Zudem ist es aktuell wesentlich teurer, elektrisch unterwegs zu sein als in einem Auto mit Verbrennungsmotor.

Das mindert die Euphorie bei den Produzenten trotzdem nicht: »Wir präsentieren hier in Brüssel sehr viele E-Mobile und Premieren«, wird Jean-Marc Ponteville für die Volkswagen-Gruppe zitiert. »Zum Beispiel den ikonischen VW-Bus zeigen wir hier in seiner ersten elektrischen Version. Aber auch der Audi E-Tron ist in einer neuen Version da. Der Cupra Urban Rebel und bei Skoda der Enyaq Coupé.«

Zu wenig Ladestationen?
Am Beispiel Brüssel wird dies deutlich: Derzeit verzeichnet die dortige Statistik nur etwa 2.300 öffentliche Ladestationen für E-Autos. Dies muss sich bis 2035 ändern, wenn in der belgischen Hauptstadt Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren nicht mehr fahren dürfen unddie Zahl auf dann über 22.000 Lademöglichkeiten steigen soll. Und selbst diese Zahl halten viele Experten für zu gering.

Katastrophales Jahr für den Automobilsektor

Zwar mögen sich die Hersteller im Bereich Elektromobilität durch den Verlauf eines sehr guten Jahres 2022 in ihren Bestrebungen bestätigt sehen, aber insgesamt schwächelt der Markt deutlich.

»Durch die Pandemie gab es auch in Belgien einen Mangel an Halbleitern und anderen Bauteilen, was zu Problemen bei der Produktion und den Ausliegerungen führt«, heißt es beim Sektorverband Febiac dazu. Allerdings bot das letzte Trimester 2022 ein wenig Hoffnung, denn die Zahl der in diesem Zeitraum abgesetzten Neuwagen stieg ein wenig gegenüber dem Rest des Jahres. Die logistischen Probleme seien gelöst: »Wir erwarten, dass 2023 ein gutes Jahr wird, besser als 2022.«

Kurzes Interview mit dem französischen Foliendesigner Nathan Haetty (Foto oben):

Lass uns mal an deinen Ideen teilhaben...
Gern. Das Design meiner Folien entsteht am Computer. Anschließend übertrage ich die Daten für den Druck auf diese Folie.

Und die Folien lassen sich auf die Fahrzeuge applizieren, und wenn man sie nicht mehr mag, auch wieder entfernen...
Genau. Die Inspiration zu diesem Design kam zustande durch die Strömungen im Windkanal. Als die Luftströme des Fahrzeugs im Windkanal gemessen wurden, haben die Ingenieure und ich versucht, diese Strömungen in Farben umzusetzen. Das war die Grundidee.

Hast du schon andere Fahrzeuge mit deinem Design versehen?  
Ja, ungefähr 60 Modelle. Kann man sich auf meinen Social Media Accounts anschauen.

Werden wir machen. Danke, dass wir mit dir sprechen durften und weiterhin viel Erfolg!

Denselben Tenor verbreitet auch BMW Pressesprecher Jeroen Lissens: »Wir haben ganz viele Neuigkeiten hier auf dem Stand von BMW. Vor allem elektrische Neuheiten wie den IX 1 und den neuen 7er.«
Insgesamt präsentiert sich der Autosalon publikumsnäher und somit ein wenig demütiger: Für einen Blick auf die Fahrzeuge aus dem absoluten Luxussegment muss man diesmal nicht extra bezahlen. Sie sind im Messebereich »The Avenue« zu sehen oder einfach bei den Herstellern auf deren Messeständen.

Erwartungsgemäß stark ist der Messeauftritt französischer Hersteller: Peugeot und Citroen präsentieren ihren Fahrzeugpark in komplett elektrifizierten Varianten und bieten einen veritablen Vorgeschmack auf Zukunftstechnologien mit teilweise komplett neu gedachten Visionen. Aber auch der klassische deutsche Vertreter Opel scheint unter der Regie von Stellantis in eine neue Zeitrechnung aufbrechen zu wollen. Flog die Marke mit dem Blitz bislang eher unter dem Radar der breiten Masse, hat man die Pandemie nun offenkundig innovativ dazu genutzt, sich komplett neu zu erfinden – entweder batterie-elektrisch oder als Plug-in-Hybrid. Anerkennung findet dieser Prozess in den Medien bereits in Form von ersten Modellnominierungen.

Publikumspremiere feiern der neue Opel Astra Electric und die beiden Topmodelle aus Rüsselsheim, der Opel Astra Sports Tourer GSe und der Opel Grandland GSe. Zudem punktet der Mokka Electric erstmals mit neuem Akku und 20 Prozent mehr Reichweite als bisher. Dahinter stehen auch die Nutzfahrzeuge Opel Combo-e und Opel Vivaro-e nicht zurück.

Insgesamt lässt unser Messebesuch auf dem Autosalon in Brüssel folgendes Fazit zu: Der seitens der Autoindustrie zu verteilende Kuchen wird tendenziell kleiner, der Wettbewerb aus Fernost hingegen größer.

Ein bedeutender Wirtschaftszweig steht damit unter wachsendem Druck vor dem Hintergrund neuer Technologien und Infrastrukturen, schwierigen Beschaffungsmärkten und zusätzlich steigenden Preisen.

Didier Blokland, Director Communications, PR & Events von Stellantis

Auf dem Messestand der Dachmarke Stellantis steht uns Didier Blokland, Director Communications, PR & Events zum Interview zur Verfügung:  

Wir werden hier auf dem Stellantis Messestand Zeuge der Weltpremiere des Citroen OLI, der mit seiner besonderen Optik vom Publikum große Aufmerksamkeit bekommt. Wie lange hat es gedauert, dieses Fahrzeug zu entwickeln?
Das kann ich Ihnen jetzt nicht exakt beantworten, aber diese Studie beschäftigt die Designer und Ingenieure unserer Entwicklungsabteilung nun bestimmt schon zwei, drei Jahre.

Dabei geht es uns nicht allein um die Optik, sondern insbesondere um die Beantwortung von wesentlichen Fragen wie »Mit welchen Möglichkeiten können wir ein elektrisch betriebenes Fahrzeug leichter konstruieren, um die Effizienz der Batterie in Hinblick auf Reichweite und Stromverbrauch zu verbessern?«

Dient diese Studie als Basis für ein Serienmodell?
Nicht exakt in dieser hier zu sehenden Anmutung. Aber gewisse Bauteile wie Front- und Heckpartie sollen in spätere Serienmodelle einfließen.

Unsere Idee dahinter lautet: Sie kaufen dieses Fahrzeug und nutzen es für einen Zeitraum von beispielsweise drei Jahren. Dann nehmen wir Teile der Karosserie zurück, um diese zu recyclen und anschließend für die weitere Nutzung wieder in den Markt zurückzugeben. Der Kunde erhält dann im Austausch Teile in neuem Design und fährt das Fahrzeug in frischer Optik einfach weiter.  

Haben Sie für dieses Design schon eine Auszeichnung erhalten?
Nicht, dass ich‘s wüsste, aber sollten wir zum Beispiel den Red Dot Award bekommen, dann teile ich es Ihnen gern mit.

Das Fahrzeug ist konzipiert für vier Personen. Bleibt da noch ausreichend Platz für Zuladung?
Ja, es bietet noch gute Möglichkeiten, auch Gepäck mitzunehmen.

Können Sie etwas über die Reichweite sagen?
Wir legen unser Hauptaugenmerk darauf, hier eine sehr leichte Batterie zu verbauen, die trotzdem eine Fahrleistung von 400 km gewährleistet. Das entspricht einer Effizienz von 10 kW für 100 km. Vergleichbare Fahrzeuge benötigen für dieselbe Strecke 15 bis 19 kW. Unsere Zielsetzung lautet, sparsame und attraktive Modelle zu erschwinglichen Preisen auf den Markt zu bringen.

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