Werkstattprofis
Selbst und ständig: Der Werkstattalltag
Text: Hartmut Malguth, Fotos: Henriette Malguth
Alle reden vom Wetter, aber die wenigsten wissen auf Anhieb, wo es liegt. Zur Orientierung: Die hessische Gemeinde Wetter liegt etwa 14 km nördlich von Marburg und bietet rund 8.800 Einwohnern eine idyllische Heimat. Selbst die nächsten Autobahnen – die A7 und die A5 – schlagen einen weiten Bogen um diese Region, sodass die Anreise überwiegend über Bundes- und Landesstraßen erfolgt. Zum vereinbarten Termin in der Kfz-Meisterwerkstatt von Petra und Stefan Grundl erscheinen wir dennoch pünktlich.
Wie und wann ist bei Ihnen die Idee entstanden, sich mit einer eigenen Werkstatt selbstständig zu machen?
Stefan Grundl: Vor meiner Selbstständigkeit war ich etliche Jahre in verschiedenen Betrieben als Werkstattleiter tätig. In einem großen Renault Autohaus in Marburg fehlte mir in meiner dortigen Funktion als Serviceberater die Basisarbeit aus der Werkstatt. Die fand ich in einer kleinen freien Werkstatt dann zwar wieder, aber ich erkannte, dass dort keinerlei Weiterentwicklung möglich war. So folgte ich der Anfrage eines anderen Renault Autohauses aus Grünberg. Die Nähe zur Autobahn bescherte uns zum Wochenstart jeweils reichlich neue Aufträge:
An jedem Montagmorgen erlebten wir eine weitere Überraschung in Form von 20 neuen Autos, die allesamt auf Instandsetzung warteten.
Es folgte dann mein nächstes Engagement in einem weiteren Renault Autohaus, das aber auch nicht die persönliche Erfüllung brachte. Letztlich bin ich dann wieder hier gelandet. Mein ehemaliger Meister aus einem der Renault Autohäuser führte diese Werkstatt und sprach mich an, ob ich nicht hier einsteigen wollte. Dazu musste ich zunächst mal die Zustimmung meiner Frau einholen.
Petra Grundl (lachend): Meine Eltern waren und sind selbstständig. Deshalb wusste ich in dem Moment, was auf uns zukommt. Das wollte ich eigentlich nicht. Wenn man sich dazu entschließt, selbstständig zu werden, so hat das ja nicht nur Vorteile. Ich glaube, manchen Menschen ist nicht bewusst, wie viel von der »freien« Zeit oder auch Lebenszeit für den Betrieb drauf geht.
Unsere Kinder waren 2010 noch recht jung. Ich hatte oft ein schlechtes Gewissen den Kindern gegenüber; die Mädchen kamen oft zu kurz. Aber ich musste ihren Vater ja unterstützen...
Selbstständig zu sein, das war und ist der Traum meines Mannes. Für meinen Mann ist die Arbeit mit Autos nicht nur ein Beruf, es ist eine Berufung!
Stefan Grundl: Dann ging es jedenfalls los. Meinen Vorgänger habe ich anfangs übernommen – dazu hatten wir noch einen Azubi. Damit waren wir dann zu dritt. Petra hatte noch ihren Minijob, den sie dann aber bereits kurze Zeit später gekündigt hat.
Es ging dann auch gleich richtig zur Sache.
Innerhalb der ersten Zeit haben wir uns dann mit zwei Gesellen verstärkt. Als wir dann gemeinsam feststellen mussten, dass mein ehemaliger Meister auf Dauer nicht mehr verantwortungsvoll mitarbeiten konnte, habe ich einen guten Freund aus meiner Zeit im Renault Autohaus angesprochen. Er zögerte nicht lange und sprang dann als Serviceberater hier ein. Zusätzlich brachte er auch gleich viele Kunden aus seiner früheren Wirkungsstätte zu uns mit hierher.
So mussten wir dann noch eine Schippe drauflegen. Also habe ich einen weiteren Ehemaligen gefragt, ob er uns unterstützen könnte. Somit waren wir zu viert in der Werkstatt – und das alles innerhalb von zwei Jahren.
Wie haben Sie sich dann organisiert?
Stefan Grundl: Die Werkstatt war schon ziemlich heruntergekommen. Es blieb nichts anderes übrig, als die Technik komplett auszutauschen. Als das noch immer nicht genügte, entschloss ich mich dazu, einen Anbau zu realisieren. So ging es eigentlich stetig bergauf bis…
…uns im Jahr 2022 ein langjähriger Mitarbeiter verließ, um eine ganz andere Richtung im Berufsleben einzuschlagen – nichts mehr mit Autos. 2023 mussten wir einen weiteren Mitarbeiter, der sich beruflich verändern wollte, gehen lassen. Im selben Jahr verunglückte einer unserer Gesellen sehr schwer mit seinem Quad; dieser junge Mann hat Glück gehabt, dass er den Unfall überlebt hat und nicht im Rollstuhl sitzt. So blieben letztlich nur noch ich, meine Frau, mein Serviceberater im Büro, ein Azubi und ein Hilfsarbeiter aus dem ehemaligen Team übrig.
Aber da es bekanntermaßen immer irgendwie weitergeht, wenn man nur den Glauben an sich selbst nicht verliert, haben wir uns auch davon erholt. Ich habe sogar einen guten Werkstattmeister gefunden, der in Kürze hier startet – mit der Option, hier irgendwann den Betrieb zu übernehmen.
Wie alt sind Sie?
Stefan Grundl: 52. Da geht noch eine Menge!
Aber Sie beschäftigen aktuell doch wieder ein ansehnliches Team. Wie haben Sie das geschafft?
Petra Grundl: Ich habe in unserer Not dann Plakate mit Jobangeboten drucken lassen und überall an öffentlichen Plätzen, Geschäften und Berufsschulen aufgehängt. Vom Arbeitsamt gab‘s zunächst auch keinerlei Resonanz...
Stefan Grundl: Schließlich hat uns die Agentur für Arbeit einen jungen Eritreer vermittelt. Innerhalb seiner kurzen Einarbeitungszeit hat er sich bewährt, und wir haben ihn fest eingestellt.
Anhand der Tatsache, dass wir kaum noch Fragen stellen müssen und sich Petra und Stefan Grundl unablässig verbal die Bälle zuspielen, merken wir, wie sehr beide für ihre Existenz brennen. Wir trauen uns nicht, diesen »Flow« zu unterbrechen:
Petra Grundl: Dann haben wir bei uns einen jungen Syrer als Hilfsarbeiter beschäftigt. Er hat sich 2015 als Flüchtling zusammen mit seiner Familie zu Fuß bis nach Deutschland durchgeschlagen. Der Junge war damals 14, seine Schwester 7, dazu noch ein Baby mit Mutter und Vater. Da er als einziger Englisch und noch ein wenig Türkisch spricht, hat er es irgendwie geschafft, seine Angehörigen bis hierher zu bringen. Er hat dann in Marburg die Schule besucht, um sein Fachabitur abzulegen. Nachdem er feststellen musste, dass er es nicht schaffen würde, hat er bei uns gefragt, ob er mal als Hilfsarbeiter hier arbeiten könne.
Innerhalb seiner Zeit als Praktikant von Januar bis Juni letzten Jahres hat er uns von seinen Fähigkeiten dermaßen überzeugt, dass wir ihm einen Ausbildungsplatz angeboten haben. Er ist im zweiten Ausbildungsjahr eingestiegen, hat die kompletten Lerninhalte parallel bereits aufgeholt und befindet sich nun im 2. Ausbildungsjahr mit der Perspektive, bei uns einen Langzeitarbeitsplatz zu bekommen. Wir sind Multikulti – weltoffener geht‘s nicht!
Das ist außerordentlich erfreulich zu hören und vermutlich ein guter Weg, um künftig zuverlässige Arbeitskräfte für das technisch anspruchsvolle Kfz-Handwerk zu gewinnen.
Petra Grundl: Das können wir nur bestätigen!
Daher beschäftigen wir derzeit einen Syrer und einen autoaffinen Ingenieur aus Panama. Er ist hierher gezogen, um seine Tochter, deren Mutter verstorben ist, solange zu unterstützen, bis sie ihr Abitur geschafft hat und auf eigenen Füßen stehen kann.
Stefan Grundl: Ich möchte an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass wir im Umfeld unseres Teams noch weitere tragische Schicksale haben hinnehmen müssen: So hat mein bester Freund und ehemaliger Serviceberater Thorsten Kreis zwei Jahre, nachdem er hier angefangen hatte, mitgeteilt, dass er unheilbar erkrankt war. Er unterstützte uns noch ein paar Monate, erlebte noch einige schöne Events und Feiern mit uns und verstarb im Jahr 2021.
Seinen Nachfolger, den Randy Ackermann, haben wir uns selbst so ausgebildet, dass er heute das gesamte Spektrum der Kundenannahme und Fahrzeuganalyse aus dem Eff-Eff beherrscht..
Das Allerwichtigste für die Entwicklung interessierter junger Mitarbeiter ist aus unserer Sicht ein gutes Arbeitsklima.
Stefan Grundl: Ich kann behaupten, dass wir ein sehr gutes Betriebsklima haben. Leider musste ich vor meiner Selbstständigkeit sehr oft feststellen, dass das Miteinander in manchen Werkstätten nicht so prickelnd ist. Zusammen mit »unseren Jungs« nehmen wir immer mal wieder an speziellen Events teil, zum Beispiel an der Motor-Show in Essen, wir fahren Kart, gehen essen, unternehmen etwas gemeinsam. Wir pflegen einen freundschaftlichen Umgang, die Mitarbeiter bringen Ideen ein, wir sind alle stets motiviert und haben den Anspruch, das Unternehmen gemeinsam voranzubringen.
Was unternehmen Sie, um dem Team mit Weiterbildungsmaßnahmen neue Perspektiven zu erschließen?
Stefan Grundl: Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Alles, was geht!
Nennen Sie mal Beispiele.
Stefan Grundl: Wir registrieren eine Zunahme von Kundenwünschen, was die Software-Unterstützung für bestimmte Fahrzeugmarken betrifft. So verfügen wir beispielsweise über einen Dongle zum Flashen von BMW Software. Mithilfe eines Remote-Services können wir auch die Software weiterer Marken simulieren.
Damit sind wir schon beim Stichwort E-Mobilität. Wie gestaltet sich dieses Segment in Ihrem Unternehmen?
Stefan Grundl: Wir verfügen mittlerweile über einen Hochvolt-Arbeitsplatz und die entsprechend notwendigen Schulungen. Insgesamt betrachtet bleibt die Technologie für uns aber ein Nischenprodukt ohne auffälligen Marktanteil.
Verfügen Sie schon über eine Ladestation auf Ihrem Firmengelände?
Stefan Grundl: Nein, wir sind auch nicht wirklich Fans der E-Mobilität. Die Fahrzeuge finden wir weder nachhaltig, noch günstig im Unterhalt.
Dazu noch eine Anekdote als Realsatire: Ein Tesla Kunde hat mit seinem Fahrzeug eine Tour nach Mallorca unternommen. Als er mit seinem neuerworbenen Auto mit der Fähre auf die Insel übersetzen wollte, hat ihm erst die Besatzung des dritten Schiffes die Genehmigung erteilt, an Bord fahren zu dürfen – gegen einen Aufpreis von 400 Euro. Dann stellte sich heraus, dass die auf Mallorca befindlichen Ladesäulen nicht Tesla-affin funktionieren. Im Endeffekt musste sich der Kunde einen Leihwagen nehmen.
Elektrofahrspaß adé!
Trotzdem investieren Sie in die Technologie für Elektroautos?
Stefan Grundl: Ja, natürlich! Schließlich bieten wir auch Serviceleistungen für Kunden, die mit Elektroautos zu uns kommen, an.
Schicken Sie Kunden mit Fahrzeugen während der Gewährleistung vom Hof?
Stefan Grundl: Nein, denn wir erledigen den Service strikt nach Herstellervorgaben. Das beinhaltet naturgemäß auch die Einhaltung der Garantiebedingungen.
Wir danken für das Interview!